Lust auf Lichtzwiebeln

Lust auf Lichtzwiebeln

Summary:

Sprache lebt. Sie verändert sich. Nicht zuletzt dank derer, die sie eben erst lernen. Sie haben mitunter bessere Ideen als der Duden.

Er sprach mitunter unkorrekt im Sinne des Dudens – aber er drückte sich verständlich aus. Die Rede ist von einem Bauingenieur aus Syrien, einem meiner Coachees, der zu seinen herausragenden Eigenschaften die Lust aufs Lernen zählt. Deshalb hat er auch innerhalb von zwei Jahren die Deutsche Sprache sehr gut erlernt. Dass er aber kein Muttersprachler war, merkte man spätestens dann, wenn er diese Eigenschaft im Adjektiv beschrieb. Dann sagte er nicht lernwillig oder lernbegierig sondern: Ich bin lernlustig.

Wissensdurst, Wissenshunger oder Wissenslust?

Wenn Menschen beim Spracherwerb von der selbstständigen Sprachanwendung der B-Kategorie in die Kompetente Sprachverwendung auf C-Niveau wechseln, entwickeln sie ein Gespür für Zusammenhänge von Worten und Redewendungen. Der Ingenieur stand zwischen B2 und C1. Ich sprache ihm für seine schnellen Fortschritte meine ehrliche Hochauchtung aus. Er errötete leicht und erklärte dies mit seinem Wissensdurst. Dabei stockte er und fragte nach, ob er das richtige Wort verwendet hätte. „Heißt es vielleicht eher Wissenslust?“

Rein semantisch hätte es natürlich auch Wissenshunger heißen können. Nichtsdestotrotz, Wissensdurst stimmt. Der Ingenieur freute sich und ergänzte, dass er auch ein Zielstreber sei. Hier musste ich korrigieren, wenngleich ich dem Herrn nicht wirklich erklären konnte, dass es zwar das Attribut „zielstrebig“ gibt, nicht jedoch dessen Substantivierung. Ich gab allerdings auch zu, dass mir diese nicht korrekten Wortschöpfungen sehr gut gefielen – vor allem „lernlustig“. Diese Begriffe stehen so zwar (noch) nicht im Duden, drücken aber für jeden klar aus, was gemeint ist. Im Sinne der Bedeutung hat mein Klient durchaus verstanden, wie die deutsche Sprache funktioniert.

Das Entwicklungspotenzial der Sprache ist unendlich

Das Coaching mit dem jungen Mann war für beide Seiten sehr bereichernd. Er hat (abgesehen von guten Bewerbungsunterlagen und mehr Sicherheit in der beruflichen Orientierung) noch ein wenig mehr über die Deutsche Sprache erfahren. Ich hatte Freude an dessen Wortschöpfungen.

Eine besonders entzückendes Exemplar der Begriffskreation ist mir von einer US-Amerikanerin in Erinnerung. Sie erzählte mir dereinst vom Kauf einer Glühbirne. Sie wusste, dass man in Deutschland für eine „bulb“ ein zusammengesetztes Hauptwort verwendet, im dem Helligkeit mit der Ähnlichkeit eines Lebensmittels verbunden wird. Folglich fragte sie im Geschäft – nach einer Lichtzwiebel. Sie hat das gewünschte Produkte erhalten.

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Günter Flott
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