Der Job war schon so gut wie sicher. Der Arbeitsvertrag zwischen dem Firmenchef und seinem neuen Key Account Manager schien nur noch eine Formsache zu sein. Und da der Inhaber des seit Generationen im Familienbesitz befindlichen Unternehmens auch zu seinen Mitarbeitern ein familiäres Verhältnis pflegte, bot er an: „Kommen Sie doch zur Unterzeichnung des Vertrags heute abend zu mir. Wir begießen den Vertrag bei einem schönen Essen. Ich lade Sie gerne ein. Bringen Sie doch auch Ihre Frau mit.“ Der Bewerber bedankte sich höflich für die Einladung, die er auch sehr gerne annehmen wollte – allerdings ohne Frau, denn er lebte zu der Zeit gerade in Scheidung.
Das war’s dann mit dem Job. Denn der Unternehmer war ein gläubiger Mann, für den Scheidung eine große Sünde bedeutete. Sünder stellt er nicht ein.
Bewerber sind keine Bittsteller
Bewerbung gescheitert? Nein, im Gegenteil! Gerade noch mal gutgegangen. Denn was wäre von einem Chef zu erwarten gewesen, der seine ganz persönliche Lebensführung zum absoluten Maßstab für seine Mitarbeiter macht? Respekt und Wertschätzung sind es vielleicht nicht unbedingt. Aber Mitarbeiter sind kein Unternehmenseigentum und Bewerber keine Bittsteller. Deshalb gilt nicht nur in Ehen, sondern auch am Arbeitsmarkt: Prüfe, wer sich ewig bindet (wobei die Kündigungfristen am Arbeitsmarkt dem Mitarbeiter deutlich mehr Flexibilität bieten als die Rahmenbedingungen in einer Ehe).
Die wichtigste Prüfung für beide Seiten ist das Vorstellungsgespräch – ein Gespräch auf Augenhöhe
„Was soll ich da denn sagen“, fragen mich häufig meine Klienten. Grundsätzlich: Die Wahrheit. Die kann man sich ohnehin am Besten merken. Es muss allerdings nicht die volle und die reine Wahrheit sein, denn das Vorstellungsgespräch ist weder Beichte noch Verhör. Es ist ein Kennenlernen. Die zweckdienliche Wahrheit gilt es zu schildern. Alles, was der Bewerber sagt, muss stimmen. Aber nicht alles, was stimmt, muss der Bewerber sagen.
Zweckdienlich ist, dass sich beide Seiten über fachliche, methodische und persönliche Komptenzen, die für den Job notwendig sind, austauschen. Während der Arbeitgeber sich die Erfolge und Motive des Bewerbers glaubwürdig belegen lassen darf, hat der Bewerber das Recht, sich ein umfassendes Bild über die Arbeitsbedingungen und Unternehmenskultur zu verschaffen.
Wenn man dann feststellt, dass man nicht zueinander passt, ist es logisch, nicht miteinander zu arbeiten. Diese Feststellung kann auch einseitig getroffen werden, also auch nur vom Bewerber.
Neben einer umfassenden Vorbereitung – damit man die zweckdienlichen Wahrheiten parat hat – gehört der der Mut zum Scheitern zum Rüstzeug eines Bewerbers. Denn ein gescheitertes Vorstellungsgespräch ist nichts im Vergleich zu einer 40-Stunden-Woche in der Hölle.