„Geht es dir auch manchmal so, dass du dich von den Ratschlägen an deine Klienten auch selbst ertappt fühlst?“ fragte mich diese Tage eine Kollegin. Und ich sagte „ja“. Denn wir sind Menschen – so wie der Schuster mit den schlechten Schuhen und der übergewichtige Arzt.
Es ist unsere Profession, mit distanziertem Blick, Verstand und Empathie dem Klienten zielführende Ratschläge zu geben. Für Ratschläge in eigener Sache gibt es die kollegiale Beratung oder Supervision, wo ein anderer die distanzierte Perspektive einnimmt (und sich von seinen Ratschlägen ertappt fühlen darf).
Im Übrigen wünschen sich Klienten auch gar keine Berater, die ihr Leben perfekt im Griff haben. Ein authentischer Beratungsmensch, der ebenfalls mit Schwächen und Fehlern den Alltag bestreitet, wirkt weitaus vertrauenswürdiger. Wenngleich dies zu Häme auslösenden Vorführeffekten führen kann, wie ich diese Tage spüren durfte:
Was Termintreue angeht, bin ich old-school. Ich erwarte Termintreue und gebe sie auch. Ich hasse Terminchaos, dass der Chaotisierende mit der Floskel „Flexibilität“ verniedlicht. Man sagt mir nach, dass auf mich Verlass sei. Umso mehr wurmt es mich, wenn Klienten Beratungstermine zu kurzfristig absagen. In einem Projekt kam es diese Woche sehr dick. An einem Tag brachen mir plötzlich 60 Prozent aller Termine weg. In solchen Fällen wage ich es auch, gegenüber dem Klienten meinen Unmut kund zu tun. Freundlich, aber bestimmt.
Ausgerechnet dann kam diese E-Mail. Diese Mail, die mich für eine zweitägiges Bewerbungscoaching anfragt. In drei Wochen. Ich habe Zeit. Eigentlich. Wenn ich nicht an einem der beiden Tage schon einen einzelnen Beratungstermin vergeben hätte. Und dann war es plötzlich an mir zum Telefon zu greifen. Und der für meine Ohren so unangenehme Spruch kam diesmal aus meinem Mund: „Ich würde gerne unseren Termin verlegen.“