Der Gastwirt. Ein Plädoyer für den wichtigsten Beruf der Welt

Der Gastwirt. Ein Plädoyer für den wichtigsten Beruf der Welt

„Wer nichts wird, wird Wirt.“ Selten erschien mir eine Lebensweise empörender als diese, deren lautmalerischer Klang ihren inhaltlichen Nihilismus niemals entschuldigt, denn hier wird ungehörigerweise ein ganzer Berufsstand als unbedeutend geschmäht. Dabei ist der Wirt mehr als nur ein Beruf; er ist ein Königsberuf, in dem Psychologen, Juristen, Kaufleute und Dienstleistungsprofis aufgehen. Würde diese Liste Gegenstand einer Jobbeschreibung – auf dem ganzen Arbeitsmarkt fände sich keine Person, die diese Kompetenzen erfüllt und der Fachkräftemangel erreichte eine neue Dimension.

Übertrieben? Pfeifendeckel, hier sind die Belege:

Der Psychologe  und Menschenkenner

Wenn es irgendwo menschelt, dann in der Kneipe. Hier kommt alles zusammen. Hier treffen sich die Depressiven, die Aggressiven, die Hochstapler, die Schnorrer, die Volkstribunen, die Demagogen, die Nervensägen, die Schweigsamen undundundund. Wie hält man das aus bzw. wie sorgt man dafür, dass das Geschehen nicht aus den Fugen gerät? Indem man je nach Situation und Person schlichtend, verständnisvoll, aufmunternd, ignorierend oder duchsetzungsstark handelt.

Der flexible Jurist

Wenn es nur das Gaststättenrecht wäre! Nein, das reicht noch lange nicht. Ein Wirt muss das Jugendschutzgesetz kennen, er muss sich in den verschiedenen Vorschriften des Lebensmittelrechts auskennen, und wenn er einen Fernseher aufstellt und Musik spielt, hat er auch Berührungen mit dem Urheberrecht und der GEMA. Auch Ordnungsgesetze und das Baurecht gehören zu den Disziplinen des Gastronomen. Nach denen ist er beispielsweise verpflichtet, bestimmte Standards bei Toiletten und Emissionen  zu beachten. Ändern sich die Gesetze, muss der Wirt bauen. Wenn in der Politik Aktionismus herrscht (zuletzt beim Erlass von Nichtraucherverordnungen), wird die Kneipe zur Baustelle.

Positiv und unternehmerisch denkender Betriebswirt

Baumaßnahmen kosten Geld. Aber der Wirt ist eben auch Betriebs-Wirt. Zum unternehmerischen Denken gehört unternehmerische Risiken auszuhalten. Wenn (wie beim Erlass von Nichtraucherverordnungen) Gesetze in kurzer Zeit hin und her verändert werden und sich so manche Investition im Nachhinein als überflüssig erweist (z. B.: der separate Raum ist nun doch nicht mehr nötig), hat man immerhin ein Stück weit der Bauwirtschaft geholfen. Positiv denken ist für den Gast-Betriebs-Wirt eine Kernkompetenz. Die meisten Wirtsleute haben sie, was sich in den äußerst selten vorkommenden Amokläufen auf Parlamente widerspiegelt.

Oasen in der Servicewüste Deutschland

Man muss eben kreativ sein. Das betrifft in erster Linie die Einnahmenseite des Unternehmens Kneipe. Die Gäste kommen ja nicht dorthin, um ihre primären Bedürfnisse zu stillen und sich zu ernähren. Sie wollen unterhalten werden. Der Gastronom ist Gestalter von Atmosphäre. Ich persönlich kann zwei Meister dieser serviceorientierten Kundenkommikation nennen, die im übrigen  gar nicht viele Worte dafür brauchten bzw. brauchen: In meiner frühen Jugend war es Erwin, aktuell ist es Carmen. Sie haben beide das Talent, dem Gast den Wunsch von den Augen (oder Gaumen) abzulesen und das Bier schon auf den Tresen zu stellen, wenn man nur bei der Tür hereinkommt. Oasen in der Servicewüste Deutschland!

Wer Wirt wird, lebt länger

Irgendwo zwischen Erwin und Carmen (etwas näher bei Erwin) fand mein Studium statt. In dem Studentenwohnheim , im dem ich lebte, eroberte ich früh die Hohheit über die dortige Bierstube. Einer meiner Stammgäste resp. Kommilitonen meinte zu einmal zu mir. „Naja, wenn es mit dem Studium nichts wird, kannst du immer noch als Wirt arbeiten. Das machst du ja ganz gut.“ Leider wurde es mit dem Berufsvorschlag nichts, denn aus meinem Studium wurde etwas. Später wurde aus mir ein Karriereberater, der im Übrigen beim Coachen von Berufszielen seine Klienten immer über ihre Leidenschaften nachdenken lässt. Einen Job, den man mit Leidenschaft ausfüllt, macht man in der Regel besser. Solche Jobs machen auch seltener krank. Bestes Beispiel: Marie Louise Wirth (sic!). Eine Kneipenwirtin! Sie ist mittlerweile 100 Jahre alt. Neben der Leidenschaft für ihren Beruf zählt sie regelmäßigen Alkoholkonsum, ungesundes Essen, kein Obst, keine übermäßige Bewegung zu ihren Lebensgewohnheiten. Dies dürfte nicht nur Wirte, sondern auch ihre Kundschaft beruhigen.

Bild von Steve Buissinne auf Pixabay
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Günter Flott
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