Eine Polemik
Wer einen Job sucht, sollte Ingenieur, IT-Experte oder Pflegefachkraft sein beziehungsweise werden und ganz schnell nach München ziehen. Das Manpower-Arbeitskraftbarometer prognostiziert jedenfalls an diesem Ort und in diesen Tätigkeiten für 2003 die größte Arbeitskräftenachfrage. Ich selbst habe diese Meldung vor wenigen Tagen gepostet. Der Post war als reiner Informationsbeitrag geleistet. Keinesfalls sollte er als Handlungsempfehlung widerspruchslos hingenommen werden.
Die rein nachfrageorientiere Berufsstrategie ist Quatsch
Man kann Menschen nicht wie in einem Lager einfach von einem Regal ins andere umschichten – nur weil da gerade Platz ist. Als Karriereberater gehe ich ganz anders vor: Ressourcenorientiert! Ich ergründe das Talent, die Motivation, die Interessenslage. Und dann erst suche ich nach dem Job, der zu der Person passt. Damit tue ich auch den Arbeitgebern einen Gefallen, denn nichts hassen die mehr als Bewerber, denen die Motivationsferne und Nichteignung schon aus den ersten Sätzen der Bewerbung entgegenspringt.
Verwalter sind keine Gestalter
Eine Verkäuferin, die Altenpflegerin werden will, zum Beispiel. Das kann gut gehen, wenn die Bewerberin gerne mit Menschen arbeitet, Freude an deren unkontrollierbaren Ausscheidungen hat, geduldig und stark ist. Das sind Kompetenzen, die in der Persönlichkeit angelegt sind und nicht geschult werden können wie Sprachen oder Computerprogramme. Umso irrsinniger klang der Vorschlag des Chefs der Bundesagentur für Arbeit, Jürgen Weise, der vor einem Jahr nach der Schlecker-Pleite vorgeschlagen hatte, die Schlecker-Frauen in Mangelberufen wie Erzieher oder Altenpfleger umzuschulen. Wir sollten schnell wieder vom Arbeitsamt sprechen, zu euphemistisch erscheint mir bei diesem Hang zur Menschenverwaltung die Agentur-Bezeichnung.
Man hätte das Schicksal der Schlecker-Verkäuferinnen durchaus in Hände von Leuten legen können, die sich damit auskennen. Eine Transfergesellschaft war kurz im Gespräch. Auch ich war als Berater bereits angefragt. Ich habe schon in verschiedenen Transferprojekten beraten. Wir Berater sind ein buntes Volk (Therapeuten, Psychologen, Betriebswirte, Pädagogen,…) mit unterschiedlichen, beruflichen, praktischen Erfahrungen. Eines aber eint uns: Wir gehen immer von der zu beratenden Person aus. Aus einem Grobmotoriker machen wir keinen Feinmechaniker. Wir suchen mit unseren Klienten den beruflichen Weg, der zu ihnen passt. Das kann ein Pflegeberuf sein, muss es aber nicht.
FDP und Arbeitsamt – in Fehleinschätzung vereint
Aber dank der Entscheider werden Leute dorthin gedrängt, wo sie nicht hinpassen – von Leuten, die auf Plätzen sitzen, wo sie nicht hingehören: Neben den politisch Verantwortlichen, unter vielen anderen die FDP-Wirtschaftsminister Philip Rösler (Bund) und Martin Zeil (Bayern), sind dies auch zahlreiche Arbeitsamt-Leute. Manche raten den Schlecker-Frauen unter anderem ernsthaft, sie sollten ihren Sohn davon überzeugen, seine aktuell laufende Ausbildung abzubrechen, um in einem Zeitarbeitsjob mehr Geld zu verdienen. Damit könne man das am Existenzminimum kratzende Haushaltseinkommen steigern.
Der Bedarf an Berufsberatung ist größer als man denkt. Nur wissen die meisten Betroffenen nichts von Ihrer Bedürftigkeit.
Danke, danke und nochmals danke für den Beitrag!!! Ich arbeite noch als Integrationsfachkraft („Arbeitsvermittler“ sollen wir uns nicht mehr nennen…) in einem Jobcenter und bekomme täglich mehr graue Haare von den vorherrschenden Denkweisen und Strukturen. Deshalb sind für mich auch die Tage dort gezählt, ich weiß nur noch nicht hundertprozentig, wie viele Tage es sein werden 😉
Das Schlimme ist: Man sollte meinen, dass die defizitorientierte Denkweise langsam weichen müsste, wo doch alle Welt um uns herum von Ressourcenorientierung spricht. Aber denkste, die BA ist wie ein bockiges Kind, das je mehr es zu etwas gedrängt wird, garantiert das Gegenteil macht. Wir werden nur noch danach bewertet, ob wir die vorgegebenen Zahlen / Quoten (Stichwort „Maßnahmebesetzung“) erreichen und das Menschenbild in meinem Kollegenkreis ist so dermaßen mies, dass viele Kunden sich über respektlose Behandlung beschweren und immer regelrecht froh sind, wenn sie nach einem Neuschnitt der Sachgebiete (ca. 2 x pro Jahr) bei jemandem wie mir landen, der ihnen auch mal zuhört…